Die Funktionsanatomie des Sitzens – das sollten Sie wissen! Teil 1: Die Wirbelsäulenform und das Wirbelsegment


Für das Verständnis der Ergonomie des Sitzens sind funktionsneurologische und funktionsanatomische bzw. biomechanische Kenntnisse und Betrachtungsweisen wichtig. Mit diesem zweiteiligen Beitrag bieten wir Ihnen einen kleinen Einblick in die Funktionsanatomie unserer Wirbelsäule. Wir fangen in diesem ersten Teil mit der Form der Wirbelsäule und dem Wirbelsegment an, bevor es aufbauend auf dem Wirbelsegment im zweiten Teil um die Bandscheiben gehen wird.

Die Wirbelsäule von uns Menschen zeigt in der Seitansicht eine charakteristische Doppel-S-Form. Die oberen sieben Wirbel bilden die Halswirbelsäule mit einer Wölbung nach vorne (Halslordose). Die nächst tiefer gelegenen 12 Wirbel bilden die Brustwirbelsäule. Diese zeigt eine charakteristische Wölbung nach hinten (Brustkyphose). Wenn diese nach hinten gerichtete Wölbung zu stark ausgeprägt ist, z.B. bei bestimmten Erkrankungen oder Fehlhaltungen, nennen wir diese vermehrte Wölbung umgangssprachlich einen Buckel. Unter den Brustwirbeln liegen fünf weitere, frei bewegliche Wirbel, die Lendenwirbel, welche die Lendenwirbelsäule bilden. Diese besitzt eine Wölbung nach vorne (Lendenlordose). Wenn diese Wölbung zu stark ausgebildet ist, nennen wir dies umgangssprachlich ein Hohlkreuz. Unter der Lendenwirbelsäule kommen noch das Kreuz- und das Steißbein, die aus etwa 5 (Kreuzbein) bzw. etwa 3 (Steißbein) i.d.R. verschmolzenen Wirbeln bestehen und wiederum nach hinten gewölbt sind (Kreuzbeinkyphose).

Die Wirbelsäule von links mit ihren charakteristischen Krümmungen. Eingekreist die Lendenlordose.

Grundsätzlich werden die Wölbungen nach vorne als Lordose bezeichnet, z.B. die Lendenlordose (s. nebenstehende Abb.), und die Wölbungen nach hinten als Kyphose (« Buckelung »), z.B. die Brustkyphose. Die Wölbungen der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte verlaufen in einem stetigen Wechsel Ihrer Ausrichtung, sie nehmen bei aufrechter Körperhaltung die oben erwähnte Doppel-S-Form an. Die Stabilisierung dieser einzelnen Abschnitte ist für die beiden Lordosen muskulär, also aktiv zu gewährleisten. Bei den beiden Wirbelsäulenabschnitten mit einer Kyphose kommt die passive Stabilisation unterstützend hinzu. Während die einzelnen Wirbel von Kreuz- und Steißbein miteinander verknöchert sind, also keiner aktiv-muskulären Stabilisation bedürfen, sind die Wirbel der Brustwirbelsäule gegeneinander beweglich, erfahren aber v.a. durch den knöchernen Brustkorb eine Stabilisation, die über die rein muskuläre Stabilisation hinausgeht. Diese sog. passive Stabilisation der Brustwirbelsäule darf man jedoch nicht überbewerten, denn auch hier hat die muskuläre Sicherung den bedeutenden Stellenwert.

Bei länger tief sitzenden Tätigkeiten auf Bürostühlen macht es Sinn, die aktive Haltearbeit der aufrechten Körperhaltung durch Lumbalausformungen zu unterstützen. Die dadurch ermöglichte Aufrechterhaltung der natürlichen Schwingungen der Wirbelsäule verringert den Druck in den Bandscheiben (s. Teil 2), verringert die Belastung in dem Kapsel-Bandapparat der Wirbelsäule und sichert die normalen Ansteuerungsmuster und Spannungsverhältnisse der gesamten Rumpfmuskulatur. Die inneren Organe von Brust- und Bauchraum werden nicht komprimiert und ihre aktive wie passive Mobilität wird nicht eingeschränkt. Wenn in diese optimale Körperausrichtung noch eine kleine, dosierte Dynamik in der Horizontalebene durch eine entkoppelte Sitzfläche kommt, bleiben die Gelenkstrukturen der Wirbelsäule durch die wechselnden Belastungen mobil und werden nicht statisch überlastet.

Die gesamte Wirbelsäule ist in allen drei Raumebenen beweglich, in Beugung und Streckung, in Seitneige und in Rotation, einer Drehung um die Längsachse. Diese Beweglichkeit wird durch die Bewegungen der einzelnen Wirbel zueinander ermöglicht. Die Summe der Bewegungsausmaße der einzelnen Wirbel zueinander ist ein wesentlicher Faktor der Gesamtbeweglichkeit der Wirbelsäule.

Zwei benachbarte Wirbel bilden eine funktionelle Einheit, wir nennen diese Einheit ein Bewegungssegment.

Ein Bewegungssegment der Wirbelsäule, hier das Segment des zwölften Brust- und des ersten Lendenwirbels.

Ein Bewegungssegment besteht aus den zwei kleinen Wirbelbogengelenken, jeweils rechts und links eines (in nebenstehender Abb. nicht dargestellt). Diese Wirbelbogengelenke sind wie jedes anatomische Gelenk von einer Gelenkkapsel und von Bändern umgeben. Die Ausrichtung der Gelenkflächen der Wirbelbogengelenke bestimmt maßgeblich das Bewegungsausmaß in einem Bewegungssegment. Ein weiterer Bestandteil eines Bewegungssegmentes der Wirbelsäule ist der sogenannte Bandscheibenraum, dessen Hauptstruktur die Bandscheibe ist.

Doch dazu mehr im kommenden Monat, im zweiten Teil dieses Beitrags.

 


Fazit: Unsere menschliche Wirbelsäule hat eine charakteristische, evolutionär entstandene Doppel-S-Form. Diese besteht aus zwei Raumwölbungen, den Kyphosen (Wölbungen nach hinten) und den Lordosen (Wölbungen nach vorne). Wir können die Wirbelsäule in vier Abschnitte unterteilen: Die frei bewegliche Halswirbelsäule, die durch die Rippen mitstabilisierte Brustwirbelsäule, die frei bewegliche Lendenwirbelsäule und das Kreuz- und Steißbein, welche eine verknöcherte Einheit bilden. Den Kontakt zweier Wirbel zueinander mit allen dazugehörigen anatomischen Gelenkstrukturen nennt man ein Wirbelsegment.


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