In diesem zweiteiligen Blogbeitrag machen wir uns Gedanken zu dynamischen Sitzsystemen. Gedanken heißt explizit, das wir hypothetisch auf der Basis von Biomechanik und Neurophysiologie argumentieren. In diesem ersten Teil stellen wir die unterschiedlichen Prinzipien dynamischer Sitzgestelle dar, im demnächst folgenden zweiten Teil holen wir den Menschen dazu. Lassen Sie sich überraschen, vielleicht liefern wir Ihnen die eine oder andere neue Überlegung.
Unter dynamischen Sitzsystemen verstehen wir Stühle jeglicher Art, deren Sitzflächen, also die Auflagen für das Becken und einen Teil der Oberschenkelrückseite, beweglich gelagert sind. Hier ist das Angebot augenscheinlich vielfältig, reduziert sich bei genauerer Betrachtung jedoch auf wenige Grundprinzipien.
Betrachten wir zunächst verschiedene Grundkonstruktionen dynamisch gelagerter Sitzflächen:
- Das Sitzgestell ist auf einer instabilen oder labilen Unterlage gelagert bzw. eine solche Unterlage ist unter dem Sitzgestell angebracht, z.B. balanciert der Stuhl gleich einem „Stehaufmännchen“ auf einer konvexen Fläche. Dies entspricht von der Bewegungsquantität und Qualität dem klassischen Sitzball, wir sprechen vom „Ballprinzip“.
- Im unteren Sitzgestell befindet sich ein Bewegungselement, z.B. ein Elastomer, eine Feder, ein Kugelelement oder ein sonstiges Gelenk. Das Sitzmobiliar steht mit festen Füßen auf einem festen Untergrund, die Sitzfläche „schwankt“ um das Bewegungselement, auch hier finden wir das „Ballprinzip“.
- An bzw. unmittelbar unter der Sitzfläche befindet sich ein instabiles bzw. ein labiles Kippelement, z.B. ein Gelenk mit verschiedenen Freiheitsgraden oder ein Elastomer.
- Auf der Sitzfläche befindet sich ein labiles Element, z.B. ein Kissen oder eine sehr weiche Aufpolsterung.
Alle diese Sitzkonstruktionen haben gemeinsam, das die Sitzfläche in ein oder zwei Ebenen gedämpft oder ungedämpft kippt. Je näher der Dreh- oder Rollpunkt an der Sitzfläche ist, desto geringer ist der Raumgewinn der Sitzfläche und desto geringer ist die Körperverlagerung des darauf sitzenden im Raum.
Das Problem bei Raumbewegungen des Körpers ist, das wir während diesen Raumbewegungen nicht gut schreiben, tippen oder sonstige feinmotorische Tätigkeiten ausführen können, auch können unsere Augen leicht den Blickkontakt, z.B. auf eine Zeile am PC-Bildschirm, verlieren. Der Sitzende verharrt während diesen feinmotorischen Tätigkeiten in einer angespannten Körperhaltung auf dem Stuhl oder Hocker um den Körper und damit die Blickrichtung ruhig und stabil zu halten. Denn unsere Augen sind der oberste Informationsgeber für unsere motorische Steuerung.
Unsere Augen als oberste Informationsgeber der motorischen Steuerung benötigen für die Blickfixierung eine ruhige Raumlage!
Weitere Möglichkeiten dynamischer Sitzkonsruktionen
Nun gibt es weitere Möglichkeiten, Sitzflächen dynamisch zu gestalten. Dabei ist nicht das Ballprinzip oder der Kreisel das Vorbild, sondern der Pendel. Die Sitzfläche wird pendelnd gelagert – wie in unseren BIOSWING-Sitzsystemen!
Was ist nun der Unterschied zwischen dem Ball- bzw. Kreiselprinzip zum Pendelprinzip in einer Sitzfläche?
Der Ball bzw. der Kreisel oder auch die Wippe verändert die Raumlage, abhängig vom Drehpunkt, wenn sie aus dem Lot gerät. Wir sprechen hier von einer instabilen Instabilität.
Das Pendel schwingt immer in das Zentrum zurück, wenn es aus dem Lot gerät bzw. einen externen als auch internen Impuls erfährt. Wir sprechen hier von einer stabilen Instabilität.
Soweit die physikalischen Eigenschaften.
Um den Begriff System jedoch gerecht zu werden, bedarf es mehr als nur einer beweglich gelagerten Sitzfläche. Diese Sitzfläche muss, damit sie zu einem Sitzsystem wird, eine zweckgebundene Einheit zum einen mit dem Gesamtstuhl aber auch mit dem darauf sitzenden Menschen und dessen Zielhandlungen bilden. Wenn kein Zusammenhang zwischen dem dynamischen Stuhl und dem darauf sitzenden in Bezug auf seine Zielhandlung besteht, dann handelt es sich bei dem Stuhl lediglich um ein Sitzaggregat, nicht um ein Sitzsystem…
Ein System ist eine zweckgebundene Einheit!
Um jedoch die Effekte eines dynamischen Sitzsystems bewerten zu können, ist es unabdingbar, uns mit dem darauf sitzenden Menschen zu beschäftigen. Denn auf einem dynamischen Sitzsystem verharrt ein biologisches Wesen, dessen Motorik ständigen Steuerungs- und Regelungsprozessen unterliegt.